Was wirklich in deinem Kopf passiert, wenn du während der Arbeit ins Grüne schaust.

Ich bin an einem Montag um 7:15 Uhr aufgewacht. Draußen regnet es, im Flur riecht es nach Automatenkaffee, und im Kopf liegt schon wieder diese vertraute Schwere. Und plötzlich erinnerte ich mich daran, wie ich am Samstag einfach auf einer Parkbank saß, zusah, wie die Sonne durch die Blätter fiel, und zum ersten Mal seit einem Monat nicht an Deadlines dachte. Der Körper entspannte sich von allein, als hätte jemand den inneren Lärm ausgeschaltet.

Es stellt sich heraus: Das war kein Zufall und auch keine „einfach gute Laune“.

Im Jahr 2016 hat ein Team amerikanischer Psychologen um An M. von der Central Michigan University untersucht, was passiert, wenn man Büros aus Beton und Leuchtstoffröhren mit lebenden Pflanzen, Aquarien und richtigem Tageslicht ausstattet. Die Studie wurde im renommierten Open-Access-Journal PLoS One veröffentlicht.

444 Büroangestellte wurden untersucht. Ein Teil arbeitete in fensterlosen Räumen oder mit Blick auf eine Ziegelwand. Die anderen hatten Pflanzen, Naturbilder, große Fenster – und im besten Fall sowohl direktes als auch indirektes Sonnenlicht. Gemessen wurden Angst, depressive Stimmung, Arbeitszufriedenheit und die Bindung ans Unternehmen.

Die Ergebnisse sind so deutlich, dass man sie am liebsten in jedem Open Space als Poster aufhängt:

  • Direktes Sonnenlicht war der stärkste Prädiktor für weniger Angst. Menschen, auf deren Schreibtisch die Sonne fiel, hatten signifikant niedrigere Angstwerte als die Kollegen im Schatten.
  • Indirektes Licht (Sonne scheint ins Zimmer, aber nicht direkt ins Gesicht) beeinflusste am stärksten die Stimmung, die Arbeitszufriedenheit und die Loyalität zum Arbeitgeber.
  • Lebende Pflanzen und Naturblick wirkten wie ein Puffer: Selbst bei wenig Licht reduzierten sie depressive Symptome deutlich.

Das „Warum“: Evolutionspsychologie und Neurowissenschaft

Am spannendsten ist der Grund für diese Reaktion. Hier kommen Evolutionspsychologie und Neurowissenschaft ins Spiel. Unser Gehirn hat sich Millionen Jahre lang unter der Bedingung entwickelt: viel Licht + Grün = Sicherheit und Nahrung in der Nähe. Wenn wir das heute sehen, beruhigt sich die Amygdala (unser Angstzentrum) und signalisiert: „Alles gut, kein Tiger in Sicht.“

Dabei laufen zwei chemische Prozesse ab:

  1. Direktes Sonnenlicht erhöht blitzschnell den Serotoninspiegel – das wichtigste körpereigene Antidepressivum. Deshalb sinkt die Angst fast wie nach der Einnahme einer Tablette.
  2. Indirektes Licht und Grün wirken langsamer, aber tiefer: Sie regulieren die inneren Uhren, senken abends den Stresshormonspiegel Cortisol und verbessern den Schlaf. Deshalb fühlt man sich nicht nur „weniger gestresst“, sondern merkt, dass die eigene Arbeit plötzlich wieder Sinn ergibt.

Ein weiteres überraschendes Ergebnis der Studie: Der größte Effekt zeigte sich bei Menschen, die jahrelang in „Betonkästen“ ohne Tageslicht gearbeitet hatten. Je länger man von der Natur abgeschnitten war, desto stärker heilt schon eine kleine Dosis Grün und Licht.

Die Forscher rechneten vor: Wenn man ein typisches Büro umgestaltet (Pflanzen, helle Wände, Blick auf Bäume oder wenigstens eine Wald-Fototapete), steigt die Arbeitszufriedenheit um bis zu 15 % und die Unternehmensloyalität um 10 %. Gleichzeitig können sich Beschwerden über Angst und Depressionen drastisch reduzieren – ganz ohne teure Coachings oder Psychotherapie.

Seit ich von zu Hause arbeite, stehen bei mir drei große Feigenbäume auf der Fensterbank, und mein Schreibtisch ist zum Fenster gedreht. Und weißt du was? Selbst wenn es regnet und grau ist, fühlt sich alles anders an als früher im fensterlosen Büro vor fünf Jahren.

Wenn du gerade in einem Raum sitzt, in dem das einzige Lebewesen der Kaktus deines Kollegen aus dem Jahr 2012 ist, mach ein kleines Experiment: Stell dir eine richtige Pflanze hin und rück den Tisch näher ans Fenster. Schreib mir in zwei Wochen, ob sich etwas verändert hat.

Hier die Originalstudie (kostenlos lesbar):
An M, Colarelli SM, O’Brien K, Boyajian ME (2016) Why We Need More Nature at Work: Effects of Natural Elements and Sunlight on Employee Mental Health and Work Attitudes. PLoS ONE 11(5): e0155614. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0155614

Die Natur verlangt nicht viel. Es reicht ihr, wenn wir sie wieder in unser Leben lassen – selbst wenn es nur durch ein Bürofenster ist.

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