Warum wir einsam sind und plötzlich die Hand zum Kuchen oder zur Cola greift
Du sitzt abends allein zu Hause, schreibst mit jemandem nur halbherzig, scrollst durch den Feed – und in dir ist diese Leere. Und plötzlich hast du einen wahnsinnigen Heißhunger auf Eis. Nicht einfach „ein bisschen was Süßes“, sondern am liebsten einen ganzen Becher Schokoladeneis, wo der Löffel stehen bleibt. Oder eine ganze Packung Kekse, die so schön knuspert und für einen Moment die Stille übertönt. Kennst du das?
Das hat nichts damit zu tun, dass du „willensschwach“ bist. Dein Gehirn ist im Überlebensmodus und sucht den schnellsten Weg zurück zu „alles ist gut“.
Einsamkeit = körperlicher Stress
Wenn wir lange ohne enge Menschen sind, interpretiert das Gehirn das fast genauso wie eine physische Bedrohung. An der Universität Chicago (wo John Cacioppo jahrzehntelang Einsamkeit erforscht hat) fand man heraus: chronische Einsamkeit treibt den Cortisolspiegel genauso in die Höhe wie ständige Gefahr. Und Cortisol schreit förmlich: „Schnell Energie her! Wir haben eine Krise!“
Die schnellste Energie, die gleichzeitig glücklich macht, ist Zucker + Fett. Evolutionär machte das Sinn: früher bedeutete einsam = aus dem Stamm verstoßen = bald tot → schnell Kalorien bunkern. Heute gibt es keinen Stamm mehr, aber der biologische Mechanismus ist geblieben.
Serotonin und Dopamin gibt es im nächsten Kiosk
Einsamkeit senkt den normalen Serotoninspiegel (das „Ruhig-und-glücklich-Hormon“). Und schnelle Kohlenhydrate sind der kürzeste Weg, ihn wieder hochzujagen. Wenn du Schokolade isst, läuft folgende Kette ab: Glukose → Insulin → mehr Tryptophan gelangt ins Gehirn → mehr Serotonin. Dazu ein kleiner Dopamin-Kick – und für 10–15 Minuten bist du wieder ein Mensch und kein Gespenst in deiner eigenen Wohnung.
Deshalb ist der Heißhunger auf Süßes bei Einsamkeit eine Art Selbstmedikation. Sehr ineffektiv, aber blitzschnell.
Was Studien bei Kindern und Jugendlichen zeigen
2022 erschien im Journal Pediatric Obesity eine Studie von Doan, Xie und Kollegen. Sie untersuchten 588 Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren, maßen ihre Einsamkeit und fragten nach dem Konsum zuckerhaltiger Getränke. Das Ergebnis war eindeutig: Je höher der Einsamkeitswert, desto öfter griffen sie zu Cola und Sprite.
Und das unabhängig davon, wie viel Taschengeld sie hatten oder wie viel sie wogen. Einsamkeit allein war der stärkste Vorhersagefaktor – stärker noch als der Body-Mass-Index. Bei den „sehr einsamen“ Jugendlichen lag der Zuckerkonsum 30–40 % höher als bei den anderen. Das Gehirn bestellt sich also wirklich Süßes, wenn ihm die Seele weh tut.
Erwachsene sind genauso betroffen
Eine Studie aus dem Jahr 2017 (veröffentlicht in Hormones and Behavior) zeigte ähnliche Muster bei Erwachsenen. Teilnehmer wurden isoliert, und jene, die stärkere Einsamkeit empfanden, aßen am Buffet fast doppelt so viele Desserts wie in ihrem normalen Alltag. Das Verlangen nach salzigem Essen blieb gleich. Es war also ganz spezifisch das Verlangen nach „Trostessen“.
Warum das ein Teufelskreis ist
Der Ablauf ist fatal:
- Süßes essen → kurzer Stimmungsaufschwung
- Zuckerabsturz → noch schlechtere Laune und wiederkehrende Traurigkeit
- Noch mehr Einsamkeit („ich bin niemandem wichtig, nicht mal mir selbst kann ich widerstehen“)
- Dazu kommen ungewollte Kilos → noch weniger Lust, unter Menschen zu gehen → die Einsamkeit wird schlimmer.
Was du tun kannst, wenn du dich erkennst
- Dich nicht selbst fertig machen. Das ist reine Biologie, keine Charakterschwäche.
- Dem Gehirn eine andere schnelle Serotoninquelle geben: 15 Minuten zügig spazieren gehen, warm baden, sich selbst umarmen (Oxytocin wirkt tatsächlich!), oder jemanden anrufen – ganz egal wen.
- Gesündere Ersatzstoffe griffbereit haben: 85 %ige dunkle Schokolade, Nüsse mit Trockenfrüchten, griechischer Joghurt mit Honig und Beeren. Das Gehirn bekommt so die Formel „Süßes + Fett“, aber ohne den harten Zuckercrash danach.
- Das Wichtigste: täglich wenigstens minimalen Kontakt planen. Schon ein 10-minütiges Gespräch mit der Verkäuferin im Supermarkt senkt den Cortisolspiegel stärker als eine ganze Tafel Vollmilchschokolade.
Einsamkeit ist nicht nur „schlechte Laune“. Es ist ein Zustand, auf den der Körper genauso ernst reagiert wie auf Hunger oder Kälte. Und solange wir ihm keine echte Wärme von Menschen geben, wird er weiter Zucker verlangen.
Deshalb: Wenn du das nächste Mal zur dritten Praline greifst – halt kurz inne und frag dich: „Fehlt mir gerade Süßes oder fehlen mir Menschen?“ Die Antwort ist meistens die zweite.
Quellen, falls du selbst nachlesen willst:
- Doan SN et al. Loneliness and cravings for sugar-sweetened beverages among adolescents. Pediatric Obesity, 2022.
- Holt-Lunstad J. et al. Loneliness and social isolation as risk factors for mortality (Meta-Analyse 2015).
- Tomova L. et al. Acute social isolation evokes midbrain craving responses similar to hunger. Nature Neuroscience, 2020 (extrem spannende Studie mit Gehirnscans).
Pass auf dich auf. Und ruf einfach mal jemanden an – das ist langfristig echt günstiger als eine spätere Diabetes-Therapie.