Sind Sie noch dieselbe Person wie vor 20 Jahren?

Stellen Sie sich einen jungen russischen Adligen vor – einen Idealisten voller Feuer. Er erbt Güter und beschließt, sie den Bauern zu übergeben. Doch er kennt sich selbst: Mit den Jahren könnten die Ideale verblassen. Deshalb legt er seinen Vorsatz in einem juristischen Dokument fest, das nur seine Frau aufheben kann. Er bittet sie: „Versprich mir, dass du nicht nachgibst, wenn ich später umdenke. Wenn ich diese Überzeugungen verliere – betrachte mich als nicht mehr existent.“

Jahre später, im mittleren Alter, kommt derselbe Mann zu seiner Frau: „Hebe das Dokument auf. Ich habe es mir anders überlegt.“ Was soll sie tun? Das Versprechen an den jungen Idealisten halten oder dem jetzigen Mann gehorchen?

Das ist kein bloßes ethisches Dilemma. Es ist ein Experiment darüber, wer wir im Laufe der Zeit wirklich sind. Sind Sie mit 50 noch dieselbe Person wie mit 25? Und wenn nicht – wer hat das Recht, über Ihr Leben zu entscheiden?

Woher stammt diese Geschichte?

Die Idee stammt vom britischen Philosophen Derek Parfit aus seinem Buch Reasons and Persons (1984). Parfit war kein Psychologe, doch seine Gedanken bilden die Grundlage für zahlreiche Studien in der Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft. Er stellte die Frage: Wenn sich unsere Erinnerungen, Werte und unser Charakter verändern – bleiben wir dann „wir selbst“?

Zitat Parfit: „Persönliche Identität ist nicht das, was zählt. Wichtig ist psychologische Verbundenheit und Kontinuität.“

Einfach ausgedrückt: Sie sind keine „Seele in einer Box“, sondern eine Kette aus Erinnerungen, Überzeugungen und Entscheidungen, die fließend ineinander übergehen.

Was sagt die Psychologie?

  1. Sie verändern sich häufiger, als Sie denken

    Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman (für Psychologie, obwohl offiziell Ökonomie) zeigte: Menschen überschätzen systematisch die Stabilität ihrer Persönlichkeit.

    • Teilnehmer sollten sich selbst in 10 Jahren vorstellen und vorhersagen, wie sie sein würden.
    • Nach 10 Jahren wurden sie erneut befragt.
    • Ergebnis: Die Menschen veränderten sich viel stärker, als sie prognostiziert hatten. Karriere, Partner, politische Ansichten, sogar Musikgeschmack.

    Quelle: Kahneman, D., & Snell, J. (1990). Predicting utility. In R. M. Hogarth (Ed.), Insights in decision making.

  2. „End-of-History-Illusion“

    Der Psychologe Jordi Quoidbach entdeckte: Menschen glauben, sie seien „fertig geformt“ und würden sich nicht mehr verändern. Eine Illusion.

    • Mit 18 Jahren halten 90 %: „Ich bin fast fertig.“
    • Mit 30 – ebenfalls 90 %.
    • Mit 50 – wieder 90 %.

    In jedem Alter denken wir: „Das bin ich – die finale Version.“ Doch die Daten zeigen das Gegenteil.

    Studie: Quoidbach, J., Gilbert, D. T., & Wilson, T. D. (2013). The end of history illusion. Science.

  3. Neurowissenschaft: Ihr Gehirn ist keine Festplatte

    Ihr Gehirn ist keine Festplatte, sondern ein plastisches Netzwerk. Obwohl die meisten Ihrer Neuronen Sie ein Leben lang begleiten (sie werden nicht alle 7-10 Jahre ersetzt), verändern sich die Verbindungen zwischen ihnen (die Synapsen) ständig. Dieses Phänomen nennt man Neuroplastizität. Ihre Erinnerungen sind kein Film, sondern eine Rekonstruktion. Jedes Mal, wenn Sie an Ihre Kindheit denken, überschreibt und verändert das Gehirn diese Erinnerung ein wenig.

    Das bedeutet: Der junge Idealist ist neuronal gesehen nicht mehr exakt derselbe. Seine Gehirnstruktur hat sich verändert. Es bleiben Fragmente, aber nicht die ganze Person.

Zurück zum Adligen

Version: Jung (25 Jahre) Wer ist das? Idealist, bereit alles aufzugeben Warum wichtig? Schließt den „ewigen“ Vertrag

Version: Mittleres Alter (50 Jahre) Wer ist das? Pragmatiker, will die Güter behalten Warum wichtig? Bittet um Aufhebung

Aus psychologischer Sicht:

  • Der Junge – Höhepunkt prosozialen Verhaltens. Zwischen 20–30 ist das Gehirn besonders sensibel für Gerechtigkeit (Aktivität im präfrontalen Kortex).
  • Der 50-Jährige – tritt in die Phase Stabilität und Sicherheit ein. Evolutionär normal: Familie schützen, nicht riskieren.

Beide sind „echt“. Nur zu unterschiedlichen Zeiten waren unterschiedliche Persönlichkeitsanteile aktiv.

Was sollte die Frau tun?

Parfit schlägt eine radikale Idee vor: Das Versprechen an den Jungen ist ein Versprechen an eine andere Person.

„Wenn ich diese Ideale verliere – betrachte mich als nicht mehr existent.“

Das ist keine Melodramatik. Es ist eine präzise Formulierung: Persönlichkeit = Satz aus Werten + Erinnerungen. Wenn die Werte weg sind – ist es nicht mehr „derselbe“ Mann.

Die Frau könnte also sagen:

„Du hast mich gebeten, dich als nicht existent zu betrachten, wenn du umdenkst. Du hast umgedacht. Also existierst du (diese Version von dir) nicht. Das Dokument bleibt.“

Und was ist mit Ihnen?

Fragen Sie sich:

  • Welche Entscheidungen haben Sie mit 20 getroffen, die Sie mit 40 rückgängig machen würden?
  • Halten Sie Versprechen ein, die Sie „einer anderen Version Ihrer selbst“ gegeben haben?
  • Darf der 50-Jährige den Traum des 25-Jährigen zerstören?

Viele schreiben „Briefe an das zukünftige Ich“ – vergessen aber, dass das zukünftige Ich ein Fremder sein könnte.

Fazit: Sie sind ein Prozess, kein Punkt

Der russische Adlige – das sind Sie. Nur in extremer Form.

  • Ihr Gehirn verändert sich.
  • Ihre Werte entwickeln sich weiter.
  • Sie verraten nicht „sich selbst“ – Sie wechseln nur zur nächsten Version.

Wenn Sie also das nächste Mal ein Versprechen brechen wollen, das Sie Ihrem jungen Ich gegeben haben, fragen Sie: Gibt es denjenigen noch, der es gegeben hat?

Vielleicht lautet die Antwort – nein. Und das ist in Ordnung.

Der Artikel basiert auf den Ideen von Derek Parfit und empirischen Daten aus der Kognitionspsychologie.

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